In der kath. Kirche reicht diese uralte Tradition der Gebetsprozessionen in Mitteleuropa bis in die frühchristliche Zeit des vierten Jahrhunderts zurück.
Im Christentum versteht man per Definition unter einer Bittprozession einen Flurumgang, mit dem Gottes Segen und die Abwendung von Gefahren und Notsituationen für Mensch und Tier erbeten wird. Dabei wird die Macht des vertrauenden Gebetes an den allmächtigen Gott und die hoffende Fürsprache aller Heiligen bekundet.
Während die Menschen über viele Jahrhunderte in erster Linie von der Landwirtschaft geprägt und im direkten Umfeld von deren Erzeugnissen unmittelbar abhängig waren, so brachte die Zeit der Industrialisierung wesentliche Veränderungen mit sich. So u.a. auch im Verständnis der Prozessionen per se als auch in den Gebetsanliegen, wo neben der Sorge um gedeihliches Wetter und Wachstum auch die Bitten um berufliche Sicherheit, sicheren Verkehr, sowie die Bitten sowohl um weltweiten als auch um Frieden vor Ort eingeflossen sind.
Auch wenn in unserer Zeit des scheinbar unbegrenzten materiellen Überflusses zumindest auf breiter Basis das Danken und Bitten nicht mehr wie selbstverständlich mit dem allmächtigen Gott in Verbindung gebracht wird, so hat sich vielerorts die Tradition der Bittprozessionen bis in unsere Tage herein erhalten, so auch in der St. Barbara-Gemeinde in Stuttgart Hofen.
Sowohl die Bitt- als auch die Ösch- Prozessionen werden nach alter katholischer Tradition immer in der sogenannten Bittwoche, also in der Woche um Christi Himmelfahrt abgehalten.
Es ist nicht überliefert, ob die Hofener Bittprozessionen ihren Anfang möglicherweise schon im Jahre 1522 mit der Erhebung zur eigenständigen Pfarrvikarie (ab 1532 eigenständige Pfarrei mit allen Rechten und Pflichten) genommen haben. Tatsache ist jedoch, dass seit Menschengedenken immer am Dienstag vor dem Fest Christi Himmelfahrt in aller Herrgottsfrühe um 6:00 Uhr mit Kreuz und Fahnen voraus, betend und singend bis zur Kirche in die drei Kilometer entfernte Nachbargemeinde nach Oeffingen gepilgert wird. Die Oeffinger Gläubigen pilgern ihrerseits ebenfalls ihrer Tradition folgend immer am Tag davor, also montags, auf demselben Flurweg nach Hofen. Möge es uns geschenkt sein, dass uns trotz aller ungünstiger Einflüsse der heutigen Zeit diese Tradition des Bittens und Dankens noch lange erhalten bleibt.
Auch die Ösch-Prozessionen haben ihren Ursprung bereits in frühchristlicher Zeit. (Das Wort „Oesch-Prozession“ ist abgeleitet vom altdeutschen esch
„Getreideteil der Gemarkung“). Auch diese bisher immer am Fest Christi Himmelfahrt durchgeführten Prozessionen werden in der Hofener St. Barbara-Gemeinde seit Menschengedenken durchgeführt und auch sie finden ihren Ausdruck im Bitten und Danken während der Begehung der Fluren.
Insbesondere die Ösch-Prozessionen wurden noch bis zum Beginn der 1960er Jahre durch den alten Hofener Ortskern und hoch über die Fluren zur damaligen Lüglensheide (heute Wohngebiet Neugereut West) durchgeführt. Dabei war die große Beteiligung der Hofener Gläubigen mit der bei den Fronleichnamsprozessionen durchaus vergleichbar.
Der Prozessionsweg des heutzutage vergleichsweise eher überschaubaren Häufleins Gläubiger führt an den drei Wegkreuzen vorbei auf dem Weg Richtung Oeffingen bis zur Antonius-Kapelle und zur vierten Station wieder zurück zur Kirche.
Mit der Schaffung der Gesamtkirchengemeinde „Stuttgarter Madonna“ mit ihren fünf Filialgemeinden Hl. Kreuz in Sommerrain – St. Bonifatius in Steinhaldenfeld – St. Augustinus in Neugereut – St. Barbara in Hofen und St. Johannes Maria Vianney in Mönchfeld im Jahre 2016 waren bzw. sind fast zwangsläufig Veränderungen verbunden, welche auch vor liebgewordenen Bräuchen und Traditionen insbesondere der Traditionsgemeinde St. Barbara nicht halt machen.
Inwieweit sich die Hofener Tradition der Prozessionen aufrecht erhalten lässt wird die Zukunft zeigen. Ein entscheidender Einfluss hierbei dürfte vermutlich im sog. Zeitgeist zu suchen sein. Materieller Überfluss mit dem allgemeinen Streben nach immer mehr, besser und schneller verleitet viele Menschen zu dem fatalen Irrglauben, dass es scheinbar völlig problemlos auch ohne den Schöpfergott geht.
Wie sagte doch Pfarrer Mattes einmal sehr treffend: Materieller Wohlstand bedingt meistens religiösen Notstand. Dabei haben wir alle gerade in Zeiten des nie dagewesenen Wohlstandes allen Grund, Gott von Herzen zu danken. Unsere noch häufig existenzielle Not leidenden Vorfahren würden sich heute beim Anblick immer weniger werdender Kirchenbesucher vermutlich kopfschüttelnd und entsetzt abwenden.

Peter Harrer

Hofen, den 2. Febr. 2019